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Gedanken

über Syntopia

schneller als gegoogelt

persönliches

von Albrecht Maurer


„Zum ersten Mal habe ich den Begriff Syntopie Ende der 90er im Autoradio gehört. In WDR 5 wurde über eine Ausstellung von Igor Sacharow-Ross berichtet, eine Installation, eine Hütte, deren Elemente aus verschiedenen Kulturen stammt – ein  Teil ist mongolisch, ein anderer ein kanadisches Blockhaus und ein weiterer gleicht einem Tipi. Ich habe diese Raumcollage nie gesehen, dafür aber Texte von Prof. Dr. Ernst Pöppel auf den sich auch Sacharow-Ross beruft und mit dem er eng zusammengearbeitet hat.


Für mich beginnt hier eine langer Prozess, denn genau dass Zerfallen der Musik und ihrer Szene in verschiedene Teilkulturen beschäftigt mich, denn es verhindert mehr als es ermöglicht, wenn diese Teilkulturen in Konkurrenz treten oder sich ignorieren. In den 80ern studierte ich klassische Violine in Köln, spielte Synthesizer in verschiedenen Gruppen, spielte gleichzeitig Barockorchester und Jazz-Sessions und studierte Klangsynthese Verfahren. Nach meinem Gefühl pulsierte die Kulturstadt Köln, der Stadtgarten war basisdemokratisch, das Loft am Anfang eines großen Abenteuers, das Gaukler Festival, das Feedback Studio, das Tanzforum, das JazzHaus Festival…


Doch zurück zur Syntopie, ein Tipi oder eine Jurte sind über Jahrhunderte zu dem geworden was sie sind, ein kultureller Ausdruck, optimiert von und für ihre Bewohner. Ähnlich verhält es sich z.B. mit einem Walzer und einem Salza Rhythmus, eng verwurzelt mit den Menschen, musikalische Orte die direkt und unmittelbar Identität schaffen.


Doch was geschieht, wenn man diese musikalischen Orte vereint, collagiert, überlagert, wann wird daraus Kunst wann bleibt es ein Nebeneinander, was hält eine syntopische Raumcollage oder entsprechend eine Musikcollage zusammen, was ist die Naht?

Für mich fügen sich zwei tiefe Erfahrungen zusammen und sind meine persönliche Lösung. Die klassischen Durchführung, wie sie in der Sonatenhauptsatzform Jahrhunderte lang optimiert wurde, ist ein motivische „Verarbeitung“ die ich über meine Jahre als Klavierspieler mit Clementi, Mozart und Beethoven in den Knochen habe, sowie die neue, freie, bedingungslose Improvisationsmusik, die ich besonders durch Theo Jörgensmann kennen lernte, die matamorphorischen Charakter hat, die integrativ ist und jeden Instrumentalisten ganzheitlich fordert und seine Offenheit und Kommunikationskraft stärkt.


Für mich schien ein neuer Typus Musiker zu entstehen, der sich traumwandlerisch zwischen geübten Strukturen und Spontan–Komposition „instant composing“ bewegt, der vorgeben und zuhören kann, der seine musikalischen Wurzeln zeigt, ob aus Klassik oder Jazz oder Folklore und der über die Improvisation spannend damit umgehen kann. (Es gibt ihn, diesen neuen Typus nur ist er viel zu selten und oft aus wirtschaftlichem Druck nicht so daran interessiert, dem nachzugehen.)  


Da es gleichzeitig möglich war, diese avantgardistische, teilimprovisierte Kammermusik als zeitgenössischen Jazz im WDR zu präsentieren, fühlte ich eine Aufbruchsstimmung und der Begriff Syntopie fehlte mir als gedanklichen Überbau. So entstand am Ende der 90er die Gruppe Trio Delight mit exotischen Instrumenten (Violine, Blockflöte, Clavichord) mit dem Gedanken, Weltmusik und Kammermusik durch die Kraft der Improvisation zu verbinden. Mir schwebte ein poly-ästhetische Stil vor, in Anlehnung an Alfred Schnittke, jedoch mit Einflüssen aus dem Jazz und mit improvisierten Teilen, die verbinden können und Durchführungs – Charkter haben können, die eigenständig oder dienlich sein können. 1999 gingen Meike Herzig Ludger Singer und ich ins Studio und nahmen die CD Syntopia auf. Als Glücksfall erwies sich die Anfrage an den damaligen WDR Redakteur Werner Fuhr, eine Liner Note fürs Booklet zu schreiben. Seine Worte begleiten mich bis heute und auch darum gibt es den imaginären Ort Syntopia weiterhin in meine Leben.

Gedanken über Syntopia

Aus dem Booklet der CD Syntopia von Albrecht Maurer Trio Delight

von Werner Fuhr


Die moderne Hirnforschung bestätigt dies: eine Wirklichkeit gibt es nicht, nur Wirklichkeiten, und die bestürzendste davon ist: unser Bewusstsein selbst ist ein Konstrukt. „Sein oder Nichtsein“ ist nicht mehr die Frage. Das Zeitkontinuum z. B., in dem wir leben:  ein Ergebnis neuronaler Rekonstruktionen - sagt der Münchner Mediziner und Psychologe Ernst Pöppel –, eine Berechnung aus ruckartigen Wahrnehmungen: alle 30 Millisekunden fragt unser Gehirn, was in der Welt passiert ist; eintreffende Reize mit geringerer Dauer können nicht mehr zeitlich geortet werden. Andererseits ist unser Gehirn nicht in der Lage, Informationen während mehr als 3 Sekunden zu einer einzigen Wahrnehmungseinheit zu gruppieren – womit möglicherweise, kultur-unabhängig, die Länge vieler zwischenmenschlicher Informationseinheiten wie Wörter, Slogans, Gesten oder auch musikalischer Motive zusammenhängt.Auch was wir „Ich“ nennen, ist für Neurowissenschaftler eine Illusion: „Identität“ als Resultat von Informationsverarbeitung im zentralen Nervensystem, mentales Modell von Realität – „werden wir nicht errechnet, so gibt es uns nicht“. Auch Träume oder rauschhafte „Halluzinationen“ sind demnach Ergebnis neuronaler Prozesse, eben bloss andere mentale Modelle der Welt und des Selbst – oft lückenhaft, aber stabil. Selten merken wir, dass wir träumen; und auch das Wissen ums Träumen bringt es nicht zum Verschwinden. Das veränderte hat dem normalen Wachbewusstsein dabei eine Einsicht voraus: „Die Halluzination hilft, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist“, sagt der Anthropologe Roland Fischer, nämlich: als Chaos von Reizen. Dem Berauschten zeigt sich, wie relativ Wirklichkeit ist und wie brüchig das Bewusstsein, das diese Wirklichkeit für bare Münze nimmt – Traum als Welt.


Ein Austausch solcher Gedanken fand zum Auftakt des 21. Jahrhunderts beim zweiten Kongress des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien in Heidelberg statt – nicht ohne Probleme, die aus dem Sprach-Babylon der wissenschaftlichen Disziplinen herrühren. Syntopie  hieß da ein Zauberwort: interdisziplinäres Wissen und Denken, Überwindung der Vereinzelung in Teilkulturen – ein Postulat, ein Traum...

Und der schon genannte Prof. Pöppel schrieb 1999 in „Kunstforum“: „Der Begriff Syntopie hat aber noch eine andere Bedeutung für mich gewonnen. Er ist mit der personalen Identität verbunden. Wenn man mich fragt, was macht eigentlich mein Ich aus, wer bin ich eigentlich, dann stellt man fest, dass es die Bilder sind, die ich aus meiner Vergangenheit in mir trage [...] Diese Bilder sind immer mit Orten verbunden. Es sind immer Orte, an denen etwas geschehen ist. Das heißt für mich, dass Syntopie  die Grundlage bzw. der Begriff ist, um personale Identität fassbar zu machen, und zwar durch die Orte, an denen ich verwurzelt bin. Alles, was man macht, ist ortsgebunden. Ich vertrete im übrigen die These, dass die Orte wieder wichtiger werden, weil wir immer virtueller kommunizieren.“


Im Jargon der heutigen Verkäuflichkeit heißt einer der gängigsten topoi (Gemein-„Plätze“):  ein Musiker, ein Ensemble passe „in keine Schublade“. Geradezu uniform scheint alles sich „crossover“ zu bewegen - aber querbeet wohin (außer in den Charts - vielleicht - nach oben)? „Crossover“ - wenn es denn nicht ein zynisches Konzept von bewußter Bastardisierung  zwecks Vermarktung ist - bezeichnet ziemlich hilflos einen Un-Ort. Oder eine Verirrung. Oder eine ‘Platz‘-Angst. Wir können angestammte, vertraute, überlebte musikalische Orte zwar  verlassen, sie fliehen - aber da diese Orte in uns liegen, nehmen wir sie auch mit. Und insgesamt entkommen wir selbst „kreuzüber“ der musikalischen Topographie nicht. Jedes Utopia, sobald wir es mit Leben füllen, erweist sich als Syntopia, als Ensemble von lebensgeschichtlich lokalisierbaren Musikerfahrungen.

Die Mitglieder des TRIO DELIGHT versammeln in ihrer Musik wunderbare Orte: offene Weite freier Improvisation, kunstvolle Enge und Dichte früher Mehrstimmigkeit, farbige Klangwelt avancierter Spieltechniken, das gepflegte Heim hoher Kammermusik, das bieder-solide Fundament barocken Continuo-Spiels, die virtuelle Ferne ‘exotischer‘ Rhythmen und Klangfarben, selbst ein wenig von der vertrauten Nähe des Swing. Gemeinsam liest man in Albrecht Maurers Notentexten aus den Lebensgeschichten einer Geige, einer Sippe von Blockflöten und eines in neue Dimensionen aufgebrochenen Clavichords.


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